Recensies

 

Das Glück am Rande des Alltäglichen

 

Zwei ungewöhnliche Filme über das menschliche Leben

Jonas Mekas sammelt in seinem Film Bilder täglicher Freuden und subtiler Gefühle aus drei Jahrzehnten mit Familie und Freunden. Die Reihen Panorama und Internationales Forum sind immer wieder Plattformen für Filme, die sich Lichtjahre entfernt vom kommerziellen Kino bewegen.
Zwei Filme, die sich in essayistischer und sehr persönlicher Form mit dem menschlichen Leben beschäftigen, sind der im Forum präsentierte Montagefilm „As I Was Moving Ahead, Occasionally I Saw Brief Glimpses Of Beauty“ von Jonas Mekas und der im Panorama gezeigte „De zee die denkt“ (Das Meer, das denkt) des Niederländers Geert de Graaff.
Jonas Mekas: Legende der Avantgarde Jonas Mekas, einer der legendären Vertreter des amerikanischen Independent Kinos, kondensiert in seinem neuesten Film sein privates Bilderparadies aus nahezu dreißig Jahren, in denen er Familie und Freunde gefilmt hat. Der viereinhalbstündige Film „As I Was Moving Ahead Occasionally I Saw Brief Glimpses Of Beauty“ vermittelt kurze Momente von Schönheit und Glück, die der Autor auf dem langen Weg durchs Leben begegneten. Über die Bild- und Tonfragmente spricht Jonas Mekas selbst einen Kommentar.
Die Bilder sind Schnipsel, Reste von Filmen aus den verstaubten Filmdosen im Regal, die er zusammenklebte. Zu Anfang versucht er eine Chronologie einzuhalten, gibt diese Ordnung jedoch nach einer Weile auf. Es gibt keine Geschichte, die erzählt werden soll, es sind gesammelte Augenblicke des Familienlebens - Alltag. Alltägliches erfahren „Ein Meisterwerk des Nichts“, bezeichnet er selbst seinen Film im Kommentar.
„Sie sitzen immer noch im Kino, obwohl doch gar nichts passiert“, wendet er sich an die Zuschauer. Tatsächlich passiert nichts im Sinne konventioneller Erzählung, dafür erfährt man sehr viel, wenn man die wiederkehrenden Motive, Personen und Orte verfolgt. Der New Yorker Central Park ist ein solcher Ort. Immer wieder spricht Mekas von der Freude, den Frühling in den Central Park einziehen zu sehen. Im Sommer sitzt man dort jedes Jahr und feiert Picknick-Feste und wenn der Schnee im Winter New York zudeckt, wird alles langsamer und ruhiger. Dann wieder sieht man zum Beispiel eine Hand, die die Rinde eines Baumstamms ertastet oder Gras auf einer Wiese rupft. Die Lebendigkeit solcher Filmfragmente und ihre Direktheit ziehen einen als Zuschauer in den Bann. Ein Denkexperiment und optische Überraschungen
Während Mekas’ Film ein Spiel mit subtilen, privaten Glücksmomenten ist, ist der Essayfilm des Niederländers Gert de Graaff ist ein exakt konstruiertes Denkexperiment. Alles dreht sich hier um das Denken und vielleicht auch darum, wie man für kurze Momente das Denken ausschalten könnte. Der Titel des Films lehnt sich an eine Geschichte an, die von einem Meer erzählt, das auf einmal glaubte, ein Baum zu sein, und fortan nicht mehr glücklich war.
Seltsam absurd, denkt man, denn ein Meer ist immer ein Meer. Dass es manchmal ganz schön schwierig ist, zu beantworten, was die Dinge tatsächlich sind, beweist der Film. Jeder kennt die Zeichnungen von optischen Täuschungen, die das menschliche Gehirn einfach nicht glauben will. Gert de Graaff zeigt in seinem Film, dass wie bei diesen optischen Gaukeleien alles im Leben von der Perspektive abhängig ist. Mit Gedankenexperimenten und immer wechselnden Perspektiven versucht er die Frage zu beantworten, was eigentlich menschliches Leben ausmacht.
Dabei wirkt sein Film fast so distanziert wie eine wissenschaftliche Versuchsanordnung. Überrascht ist man trotzdem, wenn man sich als Zuschauer in Eindeutigkeit wägt und dann doch wieder einer Täuschung erliegt, wie im richtigen Leben. Tabula rasa „Forget all!“, liest man auf einer Notiz, die Bart, der Protagonist aus Gert de Graaffs Films im Kampf mit seinen Gedanken an die von Zetteln übersäte Wand heftet.
Diese Person ist jedoch so tief im Labyrinth des eigenen Gehirns gefangen, dass die Aufforderung, alles zu vergessen wie bittere Ironie erscheint. Alles vergessen und nicht zu versuchen, die eigene Wahrnehmung auszutricksen, ist aber auf jeden Fall der angenehmere Weg. Nicht untersuchen, warum und wie Menschen denken, sondern einfach die Reste aus den gesammelten Filmdosen der letzten 30 Jahre zusammenkleben und wie Jonas Mekas das sprechen lassen, was andere als Abfall ansehen.
Während de Graaff in radikalen Denkspiralen immer wieder das Selbst in den Mittelpunkt stellt, bewegt sich Mekas an der Peripherie. Auch scheint Mekas gar nicht mehr zu suchen, er hat mit seiner positiven Haltung das gefunden, was für ihn sein Leben ausmacht, und ruft seine Botschaft heraus: Das Gute und das Schöne sind beinahe unsichtbar, aber noch nicht unwiederbringlich verschwunden.

Vera Thomas, Filmredaktion 3sat, 12-2-2001

 

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