"Sie
müssen nicht alles gleich verstehen ...."
Berlin.
Der
klügste Film der Berlinale war eindeutig das niederländische
Gedankenspiel "De zee die denkt" (Das Meer, das denkt) im Panorama.
Nach unabhängigen Messungen der Stiftung Wärmetest erhöhte sich
die Temperatur im Kino durch die rauchenden Köpfe während der
Projektion um über 5 Grad!
Regisseur Gert de Graaff stammt aus den Niederlanden. Er ist
ein Erbe Eschers, das zeigt er schon mit den ersten Bildern,
die einen in der Perspektive, in den Größenverhältnissen, in
der Erzählposition und wahrscheinlich in noch fünf Punkten täuschen.
Eine Aufnahme, die einen wahnsinnig machen könnte - ungefähr
wie der Rest des Films, dessen einfache Ausgangsfrage lautet:
Was bin ich? Die ersten Antwortversuche gehen in Richtung Konstruktivismus.
"Nur ein Gedanke". "Eine Idee". "Nur die Hauptfigur eines Films
auf der Projektionsfläche Kopf".
Weiter geht das rasante Philosophieren mit provokanten Zwischenergebnissen:
"Es gibt kein Glück. Kann eine Leinwand glücklich sein?" Während
das Publikum gebannt folgt und sich die enorme Spannung immer
wieder in Lachen entladen kann, nimmt de Graaff nach einer halben
Stunde das Tempo raus und stellt uns den Autor Bart vor, der
sich und seine Geschichte selbst schreibt. Mit dem endgültigen
Ziel, sich selbst zu negieren. Doch das weiß selbst der pure
Cineast seit "Wittgenstein": Man kann nicht nicht denken ...
Was "Sofies Welt" im Medium der Schrift gelang, schafft "De
Zee die denkt" im Film. Die Umsetzung hoch komplexer Ideen mit
originär filmischen Mitteln klammert sich nicht an die Sprache,
findet im rasanten Tempo Entsprechungen, die mehr als nur "bebildern".
Mit dem gleichen Humor, der seinem Film inne ist, entspannte
der studierte Flugzeugingenieur und Regisseur das Publikum:
"Sie müssen nicht alles gleich verstehen ...."
Das Faszinierende an diesem Gedankenspiel ist die Flut an kongenialen
Bildkonstruktionen und Wechseln in der Erzählperspektive. Da
wechselt die Szene (unter den zu Gödel und Escher passenden
Klängen von Bach) von den Zuschauern in den Fernseher und dann
weiter in ein anderes Bild. Der Gegenschuss zeigt die Beobachter,
der Top Shot des Raums wird unter den Pfoten einer (Schrödingers?)
Katze zu einem flachen Foto.
Die ansprechenden Bilder, die nachhaltigen Symbole und die das
Denken herausfordernden Paradoxien machen enormen Spaß, das
Genre "erwachsener Film" kann um die Kategorie "filmisches Philosophieren"
erweitert werden.
Spielfilm.de,
16-2-2001